Sabine Reber hat schon viele grosse und kleine Gärten angelegt und über die Jahrzehnte tonnenweise eigenes Gemüse selbst angebaut, auf dem Land, auf dem Balkon und im Stadtgarten. Über ihre Erfahrungen hat sie in zahlreichen Kolumnen und in Gartenbüchern wie auch auf unserer Videoplattform gartenvideo.com berichtet. Zudem hat sie 2016 das Selbstversorger-Buch "Vom Beet in die Küche" veröffentlicht, welches wir in unserem Gartenbuch als Serie erneut publizieren werden. Im zweiten Teil unserer Serie geht es um die Grenzen der Selbstversorgung, auf die jede Gärtnerin und jeder Gärtner bei dem Projekt "Selbstversorgung" über kurz oder lang stossen wird.
Inhaltsverzeichnis
Wo Selbstversorgung Grenzen setzt
Es gibt viele Frauen, die das machen und die das können. Es ist halt sehr zeitaufwändig, und man muss auch genug Land haben. Ausserdem ist es für die komplette Selbstversorgung gewiss sinnvoller, sich in einer Kommune mit Gleichgesinnten zu organisieren. Allein wäre das auf die Dauer enorm anstrengend. Für die meisten Frauen (und Männer) ist eine teilweise Selbstversorgung sinnvoller und machbarer. Weil, man hat ja meist noch anderes zu tun. Vielleicht möchte man auch gern noch etwas anderes machen als von morgens bis abends im Garten und auf dem Feld schuften.
Den 1. der Selbstversorgungsserie "Warum selbst anbauen" gibt es im Gartenbuch zum Lesen.
Aus meiner eigenen Erfahrung muss ich auch sagen: Frau (und auch die Männer) kommt bei ständiger intensiver Garten- und Feldarbeit auch körperlich irgendwann an eine Grenze. Bei mir hat es irgendwann mit Mitte 40 angefangen mit einer Diskushernie. Da machte einfach eines Tages der Rücken nicht mehr mit, und fertig. Als ich ein Jahr später wieder fit war und weiterschuften konnte, ging es eine Weile gut, aber dann machte sich das Knie bemerkbar, und auch mit der Schulter habe ich nun Probleme. Die meisten von uns stammen ja nicht, oder jedenfalls nicht direkt aus Bauernfamilien, wir sind uns die hart körperliche Arbeit nicht von Kindsbeinen auf gewohnt. Mit der Zeit wächst zwar die Kraft, die Muskeln nehmen zu. Aber eigentlich sind unsere Körper nicht dafür gemacht, den ganzen Tag zu harken und zu schaufeln und uns stundenlang über Gemüsebeete zu bücken. Rücken und Gelenke setzen dem grössten gärtnerischen Eifer mit der Zeit dann eben doch Grenzen.
Bilder (Stöh Grünig): Da ist aber was gewachsen! Der Rebberggarten im März des ersten Jahres
(oben) und der gleiche Ausschnitt fünf Monate später (unten).
Der Traum vom eigenen Garten
Mich selbst hatte der Traum vom Leben auf dem Land hatte mich schon lange begleitet. Ich las John Seymour, als ich noch in der Stadt lebte, ich wusste im Prinzip, wie man Zwiebeln zu einem Zopf knöpft, wie man einen Fasan rupf oder einen Birnenspalier zieht. Immer wieder hatte ich mir die charmanten Zeichnungen in "Das grosse Buch vom Leben auf dem Lande" angesehen, auf denen gezeigt wird, wie man ein Kaninchen ausnimmt oder wie man Karotten mit Sand in ein altes Fass schichtet. Beim ersten Versuch, auf dem Land zu leben, beschränkte ich mich auf den Garten. Ich baute Gemüse an, bis mir die Ohren wackelten vor lauter Salat und Kohlköpfen, aber das Schafezüchten überliess ich den Nachbarn. Und dann hatte ich ein zweites Mal die Chance, den Traum vom Selbstversorgergarten zumindest teilweise zu verwirklichen. Ich war im fünften Monat schwanger, als ich das Haus mit dem Birnbaumspalier an der Schindelfassade entdeckte, und ich wusste sogleich: Hier soll mein Kind aufwachsen, in einem alten Haus inmitten von saftigen Wiesen, mit einem grossen Garten und diversen Kleintierställen dazu. Ich wollte ein Nest bauen, ich wollte alles richtig machen. Es schien der perfekte Plan zu sein.
Bild (Rolf Neeser): Salat ist leicht anzubauen und darf in keinem Selbstversorgergarten fehlen.
In den ersten Monaten nach der Geburt meiner Tochter legte ich den Gemüsegarten an, meine Tochter im Tragetuch stets bei mir. Die meiste Zeit schlief sie, manchmal blinzelte sie unter ihrer Zipfelmütze hervor oder umfasste mit ihren zarten Händen meine dreckverkrusteten Finger. Im Sommer ass sie die ersten Himbeeren. Ich schälte ihr die Cherry-Tomaten aus dem Gewächshaus, weil sie noch keine Zähne hatte. Sie verschmähte Babybrei, aber alles, was rot und süss war und aus dem Garten kam, ass sie. Mir taten die Kaninchen in ihren kleinen Ställen leid, die wir von den Vorgängern übernommen hatten. Wir bauten ein grosszügiges Auslaufgehege, meine Tochter sollte sehen, wie gut sie es hatten. Es gab sogar ein Streichelzoo-Abteil, in dem man die Tiere anfassen konnte. Aus sonst waren wir voller Idealismus, wir änderten und verbesserten, setzten grosse Träume um.
Bild (Stöh Grünig): Himbeeren sind saftig süss und schmecken Kindern besonders gut.
Die Kehrseite der Selbstversorgung
Ein Jahr später folgte die Ernüchterung. Meine Tochter gedieh prächtig, wohl nicht zuletzt dank der Pommes und Schokoriegel, die mein Mann ihr bei jeder Gelegenheit kaufte. Gemüse ass sie nur noch, wenn ganz viel Butter drauf war. Aber das war jetzt nur noch in zweiter Linie wichtig. In erster Linie zählte, etwas Zeit zu finden, um mit ihr zu spielen. Und manchmal schlicht auch etwas Zeit, um zu schlafen. Das Freilaufgehege der Kaninchen war doch nicht so solide, wie es schien. Erst einmal buddelten die Langohren dermassen, dass wir bald jeden Tag junge Kaninchen einfangen mussten - immerhin eine ganz interessante Sportart, mit viel Bücken und Durch-die-Büsche-kriechen, doch, doch, beim Kanincheneinfangen wird man fit! Schliesslich haben wir dann die Drahtgeflechte so weit in den Boden eingegraben, dass die Gehege ausbruchsicher schienen. Jedoch täuschte der Eindruck. Sie waren vielleicht ausbruchsicher, aber keinesfalls einbruchsicher - jedenfalls nicht für die hungrige Fuchsmutter mit zwei halbwüchsigen Jungen. Und so waren eines Morgens die Kaninchen verschwunden.
Auch sonst wuchs mir das Ganze langsam, aber sicher über den Kopf. Der Rasen verwandelte sich in eine struppige Wiese, meine Pelargoniensammlung litt Hunger und Durst, die Tomaten im Gewächshaus gaben den Geist auf. Der Ententeich war nur noch eine Schlammbrühe, und die Hühner sassen alle beim Brüten, weil ich sie nicht mehr jeden Morgen aus den Nistkästen scheuchen möchte. Derweil machten sich die Fasanenmännchen über die frisch geschlüpften Küken her, und der Pfau frass alle Wellensittiche. Die Weiden dorrten in der Sommerhitze, das Gemüse schoss auf. Meine Tochter ass alle grünen Erdbeeren auf, weil sie die roten unter dem Unkraut nicht finden könnte. Ich wusste nicht mehr, wo anfangen und was zuerst anpacken.
Bild (Stöh Grünig): Die Arbeit in einem Selbstversorgarten sollte man nicht unterschätzen. Die Belohnungen in Form von von beispielsweise leckeren Kartoffeln entschädigen aber für den Aufwand.
Die Aussengehege kamen bald weg. Und die grossen Kaninchenställe überliessen wir einem älteren Nachbarn, der fortan dort auf eigene Faust seine Kaninchen züchtete und als Gegenleistung dafür bei unseren Hühnern und Vögeln etwas Ordnung schaffte und die Voliere putzte. Und ich versuchte, wenigstens den Gemüsegarten einigermassen in Schuss zu halten. Wenn schon Selbstversorger, dann wäre die tierlose Option grundsätzlich gewiss einfacher. Ein paar Hühner würde man aber trotzdem brauchen für den Mist, denn Hühnermist ist noch immer der beste Dünger. Aber Kaninchen? Oder gar grössere Tiere zum Schlachten? Nachdem ich einige Male geholfen hatte, Kaninchen zu schlachten und auszunehmen, nahm ich Abstand von dieser Idee.