Sabine Reber hat schon viele grosse und kleine Gärten angelegt und über die Jahrzehnte tonnenweise eigenes Gemüse selbst angebaut, auf dem Land, auf dem Balkon und im Stadtgarten. Über ihre Erfahrungen hat sie in zahlreichen Kolumnen und in Gartenbüchern wie auch auf unserer Videoplattform gartenvideo.com berichtet. Zudem hat sie 2016 das Selbstversorger-Buch "Vom Beet in die Küche" veröffentlicht, welches wir in unserem Gartenbuch als Serie erneut publizieren werden. Im dritten Teil unserer Serie geht es um die Selbstversorgung als Lebensstil. Ist Selbstversorgung der neue Luxus?
Inhaltsverzeichnis
Selbstgezogenes Gemüse als Luxusgut
Oh ja, seit einigen Jahren gilt es als sehr schick, eigenes Gemüse anzubauen. Schliesslich braucht das sehr viel Zeit. Und Zeit ist der wohl grösste Luxus überhaupt. Eine selbergezogene Karotte oder ein perfekter Blumenkohl aus dem eigenen Garten sind punkto Prestige kaum zu übertreffen!
Den 1. und 2. Teil der Selbstversorgungsserie "Warum selbst anbauen" und "Grenzen der Selbstversorgung" gibt es im Gartenbuch zum Lesen.
Hierbei kann man aber ein bisschen schummeln. Es gibt ja Gemüse, das sehr schwierig anzubauen ist und das wirklich sehr viel Arbeit macht. Andere Gemüse aber sind eigentlich total easy, machen aber richtig viel her. Mit gescheiter Sortenauswahl und guter Planung kann man diesbezüglich enorm viel erreichen. Brokkoli zum Beispiel ist sehr viel einfacher zu ziehen als Blumenkohl. Und mehrjährige Gemüse sind einfach, also Rhabarbern zum Beispiel. Ein selbergebackener Kuchen à la Grossmutterrezept mit Rhabarbern aus dem Garten, das macht immer Eindruck, weil es so nostalgisch ist, das berührt die Gäste im Herzen. Oder Spargeln. Die sind nicht schwierig anzubauen, man muss bloss einfach ein paar Jahre Geduld haben. Mit eigenen Spargeln kann man im grossen Stil punkten. Und natürlich auch Beeren - hausgemachte Desserts mit selbergezogenen Beeren, das ist ein sehr schöner Luxus, der eigentlich recht erschwinglich und einfach zu erreichen ist. Auch mit Kräutern kann man leicht punkten. Zum Beispiel seltene Minzesorten sammeln, oder verschiedene Basilikumsorten oder irgendwelche exotischen Kräuter sammeln und damit ein Gericht kreieren, das die Gäste wirklich verblüfft, das ist natürlich auch Luxus. Das kann man schlicht nirgends kaufen, das ist dann richtig, richtig exklusiv.
Exklusiv ist auch selbergemachte Marmelade. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Man braucht bloss eine ordentliche Sammlung an Beerensträuchern, und vielleicht noch den einen oder anderen Aprikosenbaum. Und Feigenmarmelade schmeckt übrigens auch wunderbar. Selbst gemachte Erdbeermarmelade ist vielleicht das Non-plus-Ultra an Luxus. Besonders lecker schmeckt sie, wenn man ein paar Holunderblüten mitkocht. Kann man so auch nirgends kaufen.
Bild (Stöh Grünig): Obst und Gemüse einkochen ist leicht und der Fantasie sind bei den Kombinationsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt.
Küchengarten als Gartenprojekt
Was sich auch immer lohnt, ist das Trocknen von Kräutern und essbaren Blüten, um seine eigenen Teemischungen herzustellen. Das gibt nicht viel zu tun, und im Winter wärme ich mich jeweils gern an einer Tasse sommerlichen Blütentees aus dem Garten. Auch hier sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Eine gute Basis für eigene Teemischungen sind Lindenblüten. Ok, pflanzen wir vor dem Haus einen Lindenbaum - macht nicht viel Arbeit, und auch kommende Generationen werden daran Freude haben. Alle Teekräuter wie Minzen, Melisse, Verbenen, aber auch Salbei, Thymian oder eine Prise Lavendel kommen infrage. Getrocknet werden sie an einem luftigen, schattigen Ort, wo man sie büschelweise mit den Stielen nach oben aufhängt. Man kann auch einzelne Blüten auf Backblechen auslegen und sie vorsichtig bei niedriger Temperatur trocknen. Schön und gut für hausgemachte Teemischungen sind Ringelblumen, Malven und Rosen. Ein Klassiker für die Teedose ist ausserdem die Indianernessel, die in England dem Earl-Grey-Tee beigegeben wird. Auch die getrockneten Blätter von Duftpelargonien sind eine interessante Zugabe.
Bild (Stöh Grünig): Kräuter können wunderbar getrocknet und zu Tee verarbeitet werden.
Das Herz all meiner Gartenprojekte schlägt im Küchengarten - im Französischen vornehmer Potager genannt, also Suppengarten. Hier halten auch moderne Selbstversorger-Gärtnerinnen ihr Süppchen am Kochen, hier pulsiert das Leben, hier laufen alle Fäden zusammen, hier schöpfen wir Kraft und Nahrung Und hier setze ich mich abends auf den himbeerfarbenen Stuhl in der Ecke und geniesse die letzten Sonnenstrahlen.
Bild (Stöh Grünig): Aus der Ernte des Suppengartens lassen sich auch eigene Süppchen herstellen. Wie beispielsweise eine Tomatensuppe mit etwas Basilikum.
Bio-Siegel und die Selbstversorgung
Aber warum sollte man all die Mühe auf sich nehmen, um eigenes Gemüse anzubauen? Kürzlich war ich im Bioladen einkaufen und habe dann erst zu Hause realisiert, was für ein Unfug mir da widerfahren ist: Red Quinoa aus Bolivien, rote Bohnen aus China und der Amarant im Müsli kommt aus Peru. Da soll mal einer ausrechnen, wie viele Flugmeilen das macht. Und das soll gut sein, um unser Gewissen zu beruhigen? Mit solchem ökologischen Irrsinn tun wir vielleicht unserer Gesundheit etwas Gutes, aber gewiss nicht der Umwelt. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, künftig auch im Bioladen genauer auf die Etiketten zu schauen, bevor ich etwas in mein Bastkörbchen lege. Und vor allem habe ich mir wieder einmal ein klein wenig auf die Schulter geklopft für alles, was ich seit Jahren selbst anbaue. Jeden Salat, den ich nicht kaufen muss, jedes Körbchen Erdbeeren, das ich im eigenen Garten pflücke, braucht keine Flugmeilen und ist also direkt ein Beitrag zur Rettung des Klimas. Ich schmunzle jeweils über Besucher, die davon ausgehen, dass meine Hühner Bioeier legen. Wenn ich nachfrage, wie sie denn darauf kämen, kriege ich meist etwas zu hören in der Art von: "Aber ihr macht doch alles selber hier...". Nun, liebe Freunde, solange die Hühner unsere herkömmlichen Spaghettireste aus dem Supermarkt fressen, können sie keine Bio-Eier legen! Sollen wir deswegen die Essensreste etwas in den Müll werfen? Schmecken die Eier weniger gut, weil die Hühner unsere Küchenabfälle fressen? Oder sind sie deswegen weniger gesund? Eben.
Bild (Stöh Grünig): Jede Portion selbstgepflückte Erdbeeren ist zumindest ein kleiner Beitrag für eine bessere und grünere Umwelt.
Auch unser Salat ist nicht "bio". Ich streue im Frühling jeweils eine dünne Barriere aus Schneckenkorn rund um den Gemüsegarten. Hauptsächlich verwende ich die umweltfreundlichen Körner auf Eisenbasis, aber da diese sich im Regen schneller auflösen, mische ich jeweils noch etwas von den herkömmlichen Produkten bei. Ich habe sogar zur Not schon mal meine Puffbohnen mit Insektizid eingespritzt - sie waren dermassen schwarz vor lauter Läusen, dass alles Abwaschen oder Wegreiben nicht mehr half. Vor die Wahl gestellt, gar keine Bohnen zu haben oder eben zu spritzen, habe ich mich für Letzteres entschieden. Aber grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass Chemie im Gemüsegarten nichts verloren hat. Chemie sollte grundsätzlich im Garten nichts verloren haben. Nur gärtnern wir eben leider nicht immer in einer idealen Welt.
Ich habe meine Mühe mit Fundamentalismus jeder Art und suche lieber nach pragmatischen Lösungen, die sowohl im Alltag wie im Zusammenhang des grösseren Ganzen Sinn machen. "Bio" ist in den letzten Jahren zu einem Modewort geworden. mit dem sich fast alles entschuldigen und "grünwaschen" lässt. Was heisst eigentlich "Bio"? Ist nicht alles, was wächst, auch ein Teil der Natur? Sollten wir besser "öko" sagen, wie es im Englischen üblich ist? Oder "biodynamisch" nach Demeter und Dr. Vogel. Das sind wenigstens klare Begriffe mit klar umrissenen Regeln. Aber auch biodynamisch ist letztlich nur sinnvoll, wenn man die Produkte selbst anbaut oder sie von einem Hof in der Nähe beziehen kann, wo man leicht mit dem Velo hin radeln kann. Ansonsten kaufe ich lieber etwas Gemüse und Früchte dazu von einem Bauern aus der Gegend, auch wenn der streng genommen nicht unter dem "Bio"-Label arbeitet. Hauptsache, es ist frisch, es schmeckt, und es belastet die Umwelt nicht unnötig.
Mit wenig Aufwand viel erreichen
Auf jeden Fall und trotz all dieser Bedenken ist Selbstversorgung als Lebensstil natürlich super, in Zeiten der Klimakrise sowieso. Dass wir so viel wie möglich selbst anbauen, dass wir damit Abfall und unnötige Transportwege und sinnlos beheizte Gewächshäuser und sonstigen Ressourcenverschleiss reduzieren, und einfach erstmal das essen, was direkt bei uns im Garten wächst. Das ist ein nachhaltiger, zutiefst sinnvoller und auch befriedigender Lebensstil.
Dabei ist es wichtig, dass wir uns nur so viel zumuten, wie auch realistisch und machbar ist. Sonst geben die Leute schnell mal wieder auf, wenn sie zu viel wollen und zu viel erwarten. Man muss da etwas pragmatisch vorgehen und sich überlegen, was mit einem vernünftigen Aufwand zu erreichen ist und wie viel Zeit man tatsächlich zur Verfügung hat.
Bild (Stöh Grünig): Säe nur das aus, was Du auch ernten kannst. Kapuzinerkresse ist beispielweise sehr pflegeleicht und eine echte Vitaminbombe.
Grundsätzlich würde ich dazu raten, diejenigen Früchte und Gemüse selbst anzubauen, die nicht allzu viel Arbeit machen, die gut schmecken, die vielleicht frisch geerntet sogar sehr viel besser schmecken als gekaufte Ware (Spargeln! Erdbeeren! Himbeeren!) und Sachen, die sehr einfach zu kultivieren sind und wenig Arbeit machen (zum Beispiel Schnittsalate, Kräuter, mehrjähriges Gemüse.). Auch ein eigener Apfelbaum macht recht wenig Arbeit, und man wird sich jedes Jahr über die Früchte freuen.
Kartoffeln hingegen kann man in guter Qualität auf dem Bauernmarkt kaufen, wo sie mit Maschinen produziert werden. Wenn ich diese ganze Arbeit von Hand erledige, und Kartoffeln für die ganze Familie für das ganze Jahr selbst anbauen will, dann braucht das auch sehr viel Land, und insgesamt ist das nicht wirklich effizient. Ich baue aber natürlich gerne etwas Frühkartoffeln und einige spezielle Sorten selbst an, einfach weil ich die gerne esse. Und Frühkartoffeln sind ja im Laden teuer. Die kann man problemlos in einem Eimer an der Wärme selbst kultivieren. Damit spart an auch wieder Verpackungsmaterial und Transporte. Auch Weizen und anderes Getreide würde ich sicher nicht selbst anbauen. Man kann das theoretisch schon machen. Aber Aufwand und Ertrag stehen da in einem doch recht schlechten Verhältnis. Und eben, wahrscheinlich hat man ja auch noch anderes zu tun. Also macht es in den meisten Fällen Sinn, das Mehl aus einer nachhaltigen, lokalen Quelle einzukaufen. Dafür backe ich das Brot selbst, einfach weil selbst gebackenes Brot halt besser schmeckt.
Bild (Stöh Grünig): Kartoffeln anbauen ist sehr aufwendig und lohnt sich selten. Einzig bei Frühkartoffeln macht Sabine Reber gerne mal eine Ausnahmeda sie dadurch spezielle Sorten mit ihrer Tochter ausprobieren kann.
Selbstversorgung und Ästhetik
Ein anderer Aspekt ist die Schönheit des Gemüses. Denn auch das Aussehen eines Gartens gehört zum Lebensstil der modernen Selbstversorger-Gärtner. Die Ästhetik darf hier nicht zu kurz kommen. Schliesslich wollen wir ja zeigen, dass uns das Gemüse am Herzen liegt! Also soll es auch richtig nach etwas aussehen. Und das ist gar nicht so schwierig, wenn man die richtigen Pflanzen wählt. Prachtgemüse wie Roter Mangold, Rote Melde und der in den letzten Jahren in Mode gekommene schwarze Palmkohl aus der Toskana sehen auch in bunten Blumenbeeten fantastisch aus. Der violette Federkohl, sowie natürlich Kardy und Artischocken sind ebenfalls wahre Hingucker. Mitunter verwende ich auch gelbe Zucchini, denn ihre gelb-grün gemusterten Blätter füllen die Lücken im Staudenbeet wie auch im Gemüsegarten rasant.
Bild (Stöh Grünig): Kaum Aufwand aber ein richtiger Hingucker - roter Mangold.
Im Herbst ist es dann immer eine grosse Überraschung, wenn beim Abräumen hier und dort noch eine versteckte Frucht zum Vorschein kommt. Kartoffeln sind auch eine originelle Kombination zu einjährigen Sommerblumen. Ihre Knollen wachsen unterirdisch und stören also die Blumen nicht. Auch Salate eignen sich, um Lücken im Vordergrund von Blumenbeeten oder im Gemüsegarten zu füllen. Sie wachsen viel schneller als die meisten Blumen oder andere Gemüse. Ich habe schon Kopfsalate vor die Dahlien gepflanzt, und sie den Sommer über extra aufschiessen lassen. Im Herbst habe ich die Samen geerntet, zusammen mit den essbaren Knollen der Dahlien. Die aufgeschossenen Salate waren wahre Hingucker, und etliche Gartenbesucher hielten sie für eine ganz exklusive Rarität. Dasselbe gilt für aufgestängelten Kohl, der optisch ordentlich was hermacht. Seine Blütenstände können frittiert werden. Das ist im Prinzip das Gleiche wie Broccoli - die Blüten von Kohlgewächsen sind alle essbar.