Die Pirini und Pironi stammen also von der alten fanzösischen Birnensorte ‘Nain vert’ ab, die sinnigerweise auch «Poire à bois monstrueux» genannt wurde. Interessanterweise gab die Sorte in der französischen pomologischen Literatur des 19. Jahrhunderts zu verschiedenen Diskussionen Anlass. Alphonse Mas berichtet 1880 in seiner Pomologie général, er habe die Sorte über Samen vermehrt, und etwa ein Drittel der Sämlinge sei samenecht gefallen und sehe auch aus wie die Muttersorte …
Zu dieser Zeit war nämlich Mendel noch nicht bekannt; das Drittel, das er feststellte, deutet auf eine dominante Vererbung des kompakten Wuchses und auf die Kontrolle durch ein Gen hin. Hätte Mas nämlich die Zwischenformen zu den Kompakten dazugezählt, wäre er wohl auf eine zu erwartende Verteilung von einer Hälfte mit kompakten Sämlingen und einer Hälfte mit normalwachsenden Birnen gekommen.
Ein anderer Pomologe, Decaisne, schlug vor, die kompakte «Monstrosität» als Unterlage für Birnen zu benutzen, um analog zum Paradis ‘Jaune de Metz’ (der als Unterlage für Äpfel eingesetzt wurde und der der heutigen Unterlage M9 entspricht), das Ziel schwachwachsender Birnenbäume mit Hilfe einer Unterlage zu erreichen. Nur konnte er keine Lösung anbieten, wie die Unterlage zu vermehren wäre. Es ist doch einigermassen auffällig, dass die damals anvisierten Probleme und Zuchtziele gar nicht so anders waren als heute: Kleine Bäume waren schon damals ein Bedürfnis.
Die Birne mit dem dicken Holz und den kurzen Nodienabständen blieb also eine botanische Absonderlichkeit und wurde nie gross vermehrt und nur selten züchterisch bearbeitet, bis sich in den 70 er und 80 er Jahren des letzten Jahrhunderts der englische Züchter Frank Alston ihrer annahm. Er hatte zwar vor allem genetisch-wissenschaftliche Interessen, aber er wollte doch auch die Qualität der besten Birnensorten ‘Conference’, ‘Comice’ und ‘Packhams Triumph? mit dem kompakten Wuchs von ?Nain vert? kombinieren. Wir gehen davon aus, dass ?Pironi Little Sweety’ einer Kreuzung ‘Packhams Triumph’ x (‘Conference? x ?Nain vert?) entsprungen ist, ‘Pironi Joy of Kent’ aber auf eine komplexere Kreuzung (‘Comice’ x ‘Conference’) x (‘Conference’ x ‘Nain vert’) zurückgeht. Warum aber wurden die resultierenden kompakten Birnensorten nie auf dem Markt eingeführt? Vielleicht hatte Dr. Alston damals auch noch nicht die moderne Obstbaumverwendung in Töpfen, in kleinen Gärten und auf Terrassen vor Augen, die solche Wuchsformen heute so interessant machen? Vielleicht hatte er vor allem den Erwerbsanbau im Blick, und dafür waren die Bäumchen dann doch zu schwach und würden vor allem viel zu lange brauchen, um ein grosses Kronenvolumen aufzubauen? Wie dem auch sei, die Zuchtnummern wurden immerhin in East Malling erhalten. Da standen sie während Jahrzehnten, fein säuberlich in den Quartierbüchern eingezeichnet, trugen Früchte Jahr für Jahr, die Herbst für Herbst unbeachtet zu Boden fielen, und überstanden sogar unversehrt die Pensionierung ihres Züchters … Bis ich sie aus ihrer Halbexistenz erlöste …
Das war im Sommer vor einigen Jahren. Ich arbeitete in einem Himbeerfeld in East Malling (siehe auch auf der nächsten Seite: Allianz für bessere Himbeeren), war ganz vertieft in die Geschmäcker und Wuchstypen der Himbeerversuche? und brauchte wohl etwas Erholung, streckte mich und sah mich um. Und da erblickte ich plötzlich, nur 20 m entfernt, als wäre ich bisher blind gewesen, eine kleine Baumreihe mit Birnen, darunter einige superkompakte, extrem fruchtbare Exemplare. Und gleich daneben stand mein Mietwagen, ein Fiat 500 Large, der ungefähr die gleiche Höhe wie diese 25 Jahre alten Bäume hatte …
Das war dann also die zweite Geburtsstunde dieser Minibirnensorten: Eine Woche danach schrieb ich schon den ersten Blogbeitrag über meine «Entdeckung» (die doch ein anderer schon vor 30 Jahren gemacht hatte), im gleichen Herbst wurden die Früchte ausgiebig degustiert und die allerbesten Nummern ausgewählt. Und nun sind sie bereit für die ersten Hobbygärtner und Birnenliebhaber.
Warum Pirini® Myway® die erste echte kompakte Säulenbirne ist
Säulenpflanzen sind «in». Auch bei Birnen. Da gibt es auf dem Markt Säulen-‘Concorde’, Säulen-‘Conference’, Säulen ‘Williams’ und noch vieles mehr …Können denn alle Birnen als Säulenpflanzen ummodeliert und gezogen werden?
Der Hype geht auf den Erfolg der Säulenäpfel - bei uns ‘Malini’ - zurück. Diese werden aber nicht säulenförmig durch die Anzucht in der Baumschule oder durch die Erziehung im Garten, sondern aufgrund des ihnen genetisch mitgegebenen Wuchstyps. Säulenäpfel haben gleichzeitig extrem kurze Abstände zwischen den Knospen - das macht sie kurz und kompakt - und eine ausgeprägte Spitzenförderung. Und weil sie fast nur nach oben wachsen wollen, machen sie (fast) keine Seitentreibe. Der kurze Nodienabstand wiederum verhindert, dass die Säulenbäume in den Himmel wachsen.
So weit, so gut. Aber von diesem Wuchstyp sind die überall herumgeisternden «Säulenbirnen» bisher weit entfernt. Sie vertrauen letztlich einfach darauf, dass Birnen ganz allgemein einen stark aufrechten Wuchs haben und eine eher schlanke Krone ausbilden. Zwar ist es bei den meisten Birnen (z. B. bei ‘Conference’, bei ‘Concorde’, noch besser bei ?Obelisk?) durchaus möglich, die Kronenbildung durch unablässiges Schneiden zu verhindern und eine Art vertikalen Kordon zu erziehen, aber dafür müssen zweimal pro Jahr, Mitte Juni und Ende Februar, alle entstehenden Seitentriebe konsequent auf 15 – 20 cm zurückgeschnitten werden. Achtung: Trotz aller Schnittarbeit wird hier die Höhenbegrenzung eher früher als später zu einem Problem, weil es diese Birnbäume unwiderstehlich nach oben drängt und weil da keine Bremse (in Form kurzer Nodienabstände - wie bei den ‘Malini’) eingebaut ist. Fazit: Eine Säulenbaumerziehung bei den gängigen Birnen und sogenannten «Säulenbirnen» ist möglich, ist und bleibt aber ein Murx. Sie ergibt sich nicht wie bei den ‘Malini’ automatisch aus den Wuchseigenschaften der Sorten selber, sondern erfolgt im Wesentlichen gegen die Pflanze.
Was ist bei ‘Pirini Myway’ nun anders? Nun hier hat Frank Alston in der alten französischen Sorte ‘Nain à bois monstrueux’ eine perfekte Züchtungsquelle gefunden, die den Birnbäumen genau die gleiche Wuchsbremse einbringt wie den Säulenäpfeln: Die Abstände zwischen den Knospen sind viel kürzer als bei normalen Sorten. Auch wenn sie gleich schnell wachsen würden wie normale Birnbäume (gleich viele Blätter), wären die Triebe immer noch viel kürzer. Während wir nun für die ‘Pironi?’-Serie Sorten ausgesucht haben, die bereitwillig Seitentriebe bilden (‘Joy of Kent’ wächst noch etwas breiter als ‘Little Sweety’ und bleibt deshalb auch eher niedriger), ist ‘Pirini Myway’ eine Sorte, die stark nach oben wachsen möchte. Die Unterdrückung der Seitentriebe funktioniert zwar noch nicht ganz so gut wie bei den Säulenäpfeln, aber viel besser als bei konventionellen Birnensorten, meist müssen die entstehenden Seitentriebe nur einmal auf 15 cm zurückgeschnitten werden und bilden dann ruhiges Fruchtholz; die Pflanze interessiert sich im Folgenden nur noch für das Wachstum weiter oben. Und da oben können sie noch so hoch hinaus wollen, aufgrund des auf einen Drittel reduzierten Nodienabstands wird ein ‘Pirini’ nie in den Himmel wachsen. Der Weg nach oben findet - zum Glück für den Gärtner - ein Ende. ‘Pirini Myway’ ist nach ein paar Jahren auch genug damit beschäftigt, auf seinen 150 cm irdischer Länge grosse gelbe Birnen zu ernähren.