Kürzlich fragte mich die Foodbloggerin Katharina Prosek an, einige Fragen zum Thema Zucker und Früchte zu beantworten. Da ich die Fragen etwas tendenziös, aber durchaus interessant fand, ziehe ich es vor, sie gleich hier, in unserem Newsletter und Gartenbuch zu beantworten. Schliesslich muss ich ja nicht für Katharina schreiben, sondern für Sie. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Die Fragen geben mir eine wunderschöne Gelegenheit, so richtig vom Leder zu ziehen. Und da kann ich - Sie kennen unterdessen meine Freude an Polemik - einfach nicht widerstehen.
- Viele Verbraucher bevorzugen süßes Obst und Gemüse. Inwiefern gehen Sie darauf ein und sorgen dafür, dass Ihr Obst und Gemüse süßer wird?
Es ist eine Tatsache, dass der Geschmack sich zusehends in Richtung 'süss' verändert. Dies ist übrigens nicht nur dem bösartigen Einfluss der Industrie und der Amerikaner mit Cola & Co. zuzuschreiben, sondern letztlich vor allem unserer eigenen persönlichen Globalisierung. Reisen Sie in den Süden, ab und zu, und waren Sie schon mal in Asien?
Der Geschmack im Süden, nur schon in Italien und Spanien war immer schon sehr viel süsser als nördlich der Alpen, und in Fernost sind alle Geschmacksrichtungen extremer, und süss ist definitiv noch süsser. Wenn wir in unseren Züchtungsfeldern Besuch aus Japan oder auch China haben, dann zeigt es sich, dass in diesen Regionen überhaupt gar keine Säuretoleranz vorhanden ist. Nur Äpfel, die von uns wegen totaler Säureleere (Typ ‚Süsses Abwaschwasser‘) nie selektioniert würden, finden da Zustimmung. Wenn ein Japaner oder Chinese einen Redlove®-Apfel essen muss, dann sehen Sie für eine ziemlich lange Zeit... keine Augen mehr.
Was ich damit sagen will: Andere Kulturen kennen andere Ernährungssysteme mit noch viel mehr Zucker in den Früchten und wohl auch im Gemüse. Davon kann man sich beim Genuss exotischer Früchte, die zuhauf in jedem Supermarkt zu finden sind, leicht überzeugen. Und mit der Globalisierung, die nicht etwas Fremdes, Aufgestülptes ist, sondern die wir reisend, lesend, surfend laufend selber vollziehen, gibt es natürlich auch einen Einfluss dieser fremden Kulturen auf unsere Ernährungsgewohnheiten. Kulturen und auch Ernährungssysteme verändern sich. Wann haben Sie zum letzten Mal beim Chinesen/Indonesier/Vietnamesen/etc. gespeist?
Süsse süchtigmachende Nahrungsmittel sind nicht per se auf eine Verschwörung der Nahrungsmittelindustrie zurückzuführen. Und nein, ich trinke fast nie Cola und Co., aber auf den langen Autofahrten zwischen der Schweiz und Norddeutschland genehmige ich mir auch mal ein Spezi, zu Dopingzwecken. Darf ich da auf mildernde Umstände hoffen? Und wenn wir gerade bei den Geständnissen sind: Ja, ich bin übergewichtig und es ist nicht mein Stoffwechsel, ich bin selber schuld: Von allem zu viel, ganz sicher aber nicht vom Zucker. Wobei die Fructose... Was wäre das für eine schöne Entschuldigung, wenn ich behaupten könnte, dass der Bauch auf die vielen Äpfel zurückzuführen wäre - sozusagen als selbstgewähltes und geduldig getragenes Opfer meines Berufs und meiner Berufung als Züchter...
Und nun - endlich - zu Ihrer Frage: Als Züchter habe ich ein umgekehrtes Problem. Ich liebe Säure. Aufgrund der gossen Übung habe ich natürlich auch eine Säuretoleranz entwickelt, die viel grösser ist als beim durchschnittlichen Obstesser. Das heisst, ich muss mich permanent etwas korrigieren und auch mal süsse Sorten auswählen, die ich persönlich wohl nicht mögen würde. Denn eines weiss ich: Unabhängig von Genusstrends brauche ich Süsses und Saures... in jedem Fall aber Besseres.
Wenn dem so ist, wie viel mehr Fruchtzucker enthält ihr Obst/Gemüse?
Nun ja, die Frage mit der inkludierten Folgerung (wenn dann) hat ja schon fast etwas Gerichtsnotorisches. Also Eurer Ehren, ich gestehe:
Beim Apfel beispielsweise entwickeln sich die Brix (die den Gesamtzucker und eigentlich die Dichte messen) von 10-13° bei älteren Sorten in Richtung auf 13-16°Brix. Auch in unserem Züchtungsprogramm. Ich möchte allerding ein weiteres mal für mildernde Umstände plädieren: Die Früchte mit mehr Zucker schmecken einfach besser, nicht wegen des Zuckers an und für sich, sondern weil Zucker bei Früchten auch ein Geschmacksverstärker ist und weil bei den allerbesten und aromatischsten Früchten die Säureanteile und Aromastoffe parallel mit dem Zuckergehalt wachsen. Und das sind dann die Früchte, die ich liebe. Beispiele sind die neueren Lubera® Apfelsorten Paradis® Sparkling®, Paradis® Elegance® oder auf der generell sauren Seite (aber mit sehr viel Zucker hinterlegt) Redlove® Odysso® oder Redlove® Kohlhaas.
- Wenn dem so ist, welches Obst/Gemüse züchten Sie süßer?
Wir machen es nicht süsser, sondern in der Regel besser. Das bedeutet in der Mehrzahl der Fälle auch mehr Säure, die dem Geschmack erst Körper gibt. Ja, und wir wählen auch mal ganz speziell süsse Sorten aus, um den Geschmack der Asiaten, Südländer und der davon angesteckten Europäer zu befriedigen. Hier ist übrigens in vielen Fällen der Zuckergehalt nicht mal immer so viel höher als bei anderen Sorten, es hat ganz einfach viel weniger Säure. Das Geschmacksempfinden süss/sauer ist sehr relativ und immer von der Präsenz des Gegenparts abhängig.
- Züchten Sie auch Eigenkreationen?
Das Wort 'Züchten', richtig gebraucht, beinhaltet das. Wenn man züchtet, werden durch die Kreuzung zweier unterschiedlicher Sorten die Gene der beiden Sorten frei und neu rekombiniert und es entstehen lauter unterschiedliche, nie dagewesene Individuen, aus denen wir dann - hoffentlich - die besten auslesen. Züchten hat - vor allem im umgangssprachlichen Hochdeutschen - noch eine Nebenbedeutung für 'kultivieren'. Aber 'züchten' im eigentlichen Sinne meint die Produktion neuer Sorten.
Gibt es in diesem Bereich bestimmte Vorschriften, wie hoch der Fruchtzucker höchstens sein darf?
OMG. Oh mein Gott. Das hat uns gerade noch gefehlt! Aber eine wahrhaft gute Idee. Wenn sie in Deutschland nicht auf fruchtbaren Boden fällt, muss sie unbedingt in Brüssel ausgesät werden. Da wird sie keimen und wachsen und ganz sicher ein Ungeheuer produzieren. Die züchten sie da nämlich auch...
- Darf auch Biogemüse/Obst immer süßer gezüchtet werden?
Das ist jetzt ganz gut. Ich lese daraus: Bio ist grundsätzlich gut, also sauer. Da kann es doch nicht angehen, es jetzt plötzlich süss machen zu wollen. Süss ist eben nicht gut (im moralischen Sinne selbstverständlich), sondern schlecht. Und nur fiese industrielle Verbrecher können darauf abzielen, Bio schlecht zu machen... Also ich kann die Leser und auch Frau Proske beruhigen: Der Bioanbau zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er neue Sorten besonders schnell adaptiert. Das Gegenteil ist der Fall: Wir bei Lubera® züchten seit bald 30 Jahren schorfresistente Sorten, die mit viel weniger Pflanzenschutz kultiviert werden können, aber die meisten unserer Sorten werden vorwiegend im Garten oder in konventionellen Anbau angebaut - und nicht im Bioanbau. Bio bleibt da sauber und gut. Aber sauer? In Italien und in der Schweiz, wohl auch in Deutschland ist Gala die beliebteste und am meisten angebaute Biosorte. Sie ist übrigens ziemlich süss, extrem krankheitsanfällig und kann im Bioanbau in der Schweiz und in Deutschland nur mit 30+ Pflanzenschutzgängen pro Jahr kultiviert werden.
So und jetzt beantworte ich keine Fragen mehr. Ich brauche etwas Zucker!
Früher war sowieso alles besser.
vielen Dank, dass Sie Ihre Antwort hier mit uns allen teilen. Wir einfache Käufer aus der Schweiz, Österreich, England und Deutschland bekommen ja sonst gar nicht mit, dass Sie so ein großes Interesse an asiatischen Märkten haben.
Ich verstehe gut, dass Ihre Antwort nicht vollständig sein kann - ich hätte mich auch nach Zucker umgesehen. Aber Sie hätten gut auf Ihren Katalog verweisen können um zu zeigen, dass Ihre Verkaufspraxis eben nicht zuckerorientiert ist. Sie hätten zeigen können, wie bei der Werbung für Sparkling kein Verweis auf den Zucker vorkommt und wie Sie die Heidelbeere Rubel wegen ihrer Antioxidativa bewerben.
Ich selbst habe erst seit letztem Jahr einen (wirklich) eigenen Garten zu bewirtschaften und habe so gerade noch einen der Papierkataloge früherer Jahre bekommen, bevor die dieses Jahr abgeschafft wurden. Da gab es noch bei jeder Apfelsorte (gezüchtet, nicht nur gezogen) einen kleinen visuellen Hinweis, wie süß die Sorte ist. Das war so eine Art visuelle Analogskala, keine Angaben in Brix - aber sehr hilfreich bei der Entscheidung. Leider ist diese Information jetzt verschwunden - denn online gibt es nichts vergleichbares und das Papier haben Sie abgeschafft. Schade, es hätte Frau Prosek gezeigt, wie sehr sie auch zu säuerlichen Sorten stehen, wie Sie das klar deklarieren und wie vollständig sie das damit in die Hände der Kunden legen.
Hatte ich schon erwähnt, dass sich online- und Papierinformation gut ergänzt haben?
Viele Grüße!
Markus Kobelt