Zuerst die schlechte Nachricht: Alle ausgepflanzten und ungeschützten Feigen in meiner Nachbarschaft in Buchs, im St. Galler Rheintal (und an vielen anderen Orten auch) sind in diesem Winter erfroren. Bei uns jedenfalls alle, an anderen Orten viele. Ganz offensichtlich fühlten sich die Feigen im Dezember zu wohl, glaubten an einen weiteren milden Winter, der sie so heimelig an ihre südlichen Ursprünge erinnert; und siehe da, im Januar kam der Frost ganz fruchtbar auf sie runter, und die vorwitzigen Feigen froren ganz erbärmlich zurück. Darunter auch 10 jährige Pflanzen, bei denen ich das sicher nicht vorausgesagt hätte und bei denen ich mehr Frostresistenz erwartet hätte. Man merke sich: Der Frostresistenz ist kein absoluter Wert, sondern hängt immer vom Zustand der Pflanzen zum Zeitpunkt des Kälteeinbruchs ab. Daher stellt sich die Frage: Ist die Feige winterhart?
Dann aber die gute Nachricht: Alle Feigen haben überlebt, alle treiben jetzt, Anfang Juni wieder aus, teilweise nur aus den Wurzeln, direkt aus dem Boden, teilweise aus der Basis, teilweise entstehen in 50 bis 150cm Höhe plötzlich neue frische Knöspchen an gänzlich unerwarteten Stellen.
Die Regenerationsfähigkeit der Feige ist wirklich ganz erstaunlich. Der späte Austrieb in 50-150 cm Höhe zeigt deutlich, dass sich sogar “erfrorene” Triebe wieder regenerieren können und dass sich das Leben und Überleben dann spät, doch nicht zu spät doch noch Bahn bricht. Eine meiner Nachbarinnen ist ganz begeistert von ihrer Feigenüberlebenskünstlerin, sie hat das Schauspiel in den letzten 20 Jahren schon 2-3 mal erlebt und kommt vor dem Ausbruch des Lebens aus den scheintoten Trieben immer wieder ins Schwärmen: “An den Feigen sollten wir uns ein Vorbild nehmen!”
Als ich am Sonntagnachmittag durch die Nachbarsgärten streifte und die mir bekannten Feigen “besuchte” und auf ihre Überlebenszeichen überprüfte, habe ich viel über die Feigen gelernt, vieles, das ich schon wusste, aber noch viel mehr, das mir nie so ganz klar war, obwohl es eigentlich ganz logisch und selbstverständlich ist.
Diese Faktoren erhöhen die Überlebensfähigkeit der Feige:
1. Tief pflanzen: Junge Triebe und frisch gepflanzte Feigen sind frostanfälliger als alte Pflanzen. Darum ist es wichtig, dass junge Feigen tief gepflanzt werden, ich würde unterdessen anraten, bis 10 cm tiefer als der obere Rand des Wurzelballens zu pflanzen. Das hilft der jungen Pflanze im schlimmsten Fall, aus dem Wurzelstock zu regenerieren. Keine Angst, Feigen sind nicht veredelt, sondern wurzelecht: Auch der Neutrieb aus der Erde stellt die gleiche Sorte dar, wird die gleichen schmackhaften und grossen Früchte bringen wie der leider zurückgefrorene alte Trieb.
2. Frostschutz an den Trieben bei jungen Feigen: Bei jungen frischgepflanzten Feigen braucht es in den ersten 3 Jahren über den Winter einen Frostschutz: also am besten im November/Dezember den Busch zusammenbinden und mit isolierendem Material einkleiden. Achtung, bitte keine Materialien verwenden, die zu Gewächshauseffekten führen (Plastik und Ähnliches) und die Pflanze am schönen Wintertage in verfrühte Frühlingsstimmung bringen könnten.
3. Anhäufeln und Wurzeln schützen: Gerade bei jungen Feigenpflanzen lohnt es sich, zusätzlich über den Winter den unteren Teil der Triebe anzuhäufeln und/oder den Wurzelbereich mit etwas Stroh und Laub zu schützen. Das erhöht die Chance, dass der junge Feigenbusch auch in einem gefährlichen Winter (wie dem letzten) überlebt, wenn nicht an der Triebspitze, so doch zumindest an der Triebbasis und im Wurzelstock.
4. Winterstabile Feigensorten: Ich glaube nicht, dass es bei der absoluten Winterhärte der Kulturfeigen (also der Feigen, die ohne Befruchtung parthenokarpe Früchte anlegen; siehe den andere Feigenartikel im letzten Newsletter) grosse Unterschiede gibt. Grundsätzlich hat sich die Kulturfeige auf ihrem Weg vom Süden in den Norden die Fähigkeit angeeignet, auch tiefe Temperaturen bis minus 16-20 °C zu überleben und wundersam zu regenerieren. Grössere Unterscheide gibt es aber bei der Winterstabilität, also bei der Fähigkeit der Feige, auch bei einmal wärmeren Temperaturen im Winter ruhig (oder mindestens ruhiger ) zu bleiben. Hier haben unsere Sorten, die in 20 jähriger Arbeit von Gusti Berchtold im Bündner Rheintal, in einem Föhntal inmitten der Alpen, ausgelesen worden sind, sicher einen Vorteil. Zu den stabilsten Sorten gehören hier Perretta und Twotimer.
5. Alt ist besser als jung? Ja klar, ein grösserer Holzkörper ist frostresistenter als ein junger, nicht ganz ausgereifter Trieb. Aber auf meinem Rundgang habe ich doch auch deutliche Anzeichen gesehen, dass mitteldick besser ist als ganz dick. Die Äste, die weiter oben ausschlagen, sind eher mitteldicke Triebe, nicht die ganz dicken. Offenbar haben diese eher die Fähigkeit zu regenerieren als die Holzungetüme. Oder vielleicht braucht man bei den letzteren einfach noch mehr Geduld: Sie treiben noch später aus als die mitteldicken Stämme.
6. Breit ist besser als schmal, mehrtriebig besser als ein Stamm: Diese Erkenntnis ist ganz deutlich und spricht gegen die gerne im Süden angebotenen Feigenstämmchen. Auch wir bei Lubera waren und sind immer der Versuchung ausgesetzt, schöne elegante Feigenstämmchen zu produzieren, aber eigentlich ist das in unserem Klima ein Blödsinn: Je breiter der Wurzelballen ist, je mehr Zusatztriebe und Austriebszentren er aufweist, desto stärker und intensiver ist die Regeneration aus der Basis.
Ja, ein Stämmchen könnte auch mal weg sein, aber ein mehrtriebiger Busch ist einfach nicht tot zukriegen, er hat genau so viel mehr Überlebenschancen, als er mehr Triebe und vor allem Basistriebe hat als ein Stamm. Eigentlich ist es der Frostwinter selbst, der dann bei Büschen die Regeneration aus der Basis fördert, der die Pflanze nochmals breiter und resistenter macht dank der neuen, breiter ausschlagenden Bodentriebe. Ein wunderbarer Verstärkungsfaktor: Je mehr und häufiger die Feige zurückfriert (und wieder austreibt), desto untötlicher wird sie.
7. Feigen an die Wand! Ich habe mich auch schon über die englischen Gärtner lustig gemacht, die Feigen so gerne an die Wand stellen und dann die Triebe kunstvoll-fächerartig verteilen und aufbinden. Die Feige ist doch keine Kletterpflanze, so spottete ich gerne über die Gartenspeens der Inselgärtner, die aus einer mediterranen Urpflanze eine Wandschmuckpflanze machen. Aber ich irrte! Was vielleicht der wilden mediterranen Schönheit ein wenig Abbruch tut, kann die Feige tatsächlich auch schützen und retten. Eine Nachbarin hat ihre Feigen an eine Südwand gepflanzt – nein, nicht an eine Hauswärme abstrahlende Hauswand, nur eine ziemlich schmucklose Betonwand zum Carport des Nachbarn. Und sie hat ihre Feigensträucher noch nicht einmal an die Wand gezwungen, wie meine spleenigen Engländer, sondern einfach frei wachsen lassen. Und siehe da: Ihre Feigensträucher regenerieren am besten in der ganzen Nachbarschaft!
Und wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, hier ist er: Ein eher schmächtiger Seitentrieb ist bogig gegen die Wand gewachsen und berührt diese jetzt mit seiner Spitze. Und genau diese Triebspitze ist jetzt schon wieder voll grün beblättert, wie eine Oase in der Wüste. Feigen an der Wand haben deutlich bessere Chancen, einen speziell kalten und gefährlichen Winter nicht nur in den Wurzeln, sondern auch mit ihren Ästen zu überleben und so auch nach Frostwintern Feigen zu tragen.
8. Feigensorten, die an den diesjährigen Trieben Feigen tragen, sind natürlich ebenfalls im Vorteil. Nein, eigentlich nicht die Feigenbäume selbst, sondern ihre Besitzer ;-) Bei diesen Sorten hat man auch nach Frostjahren eine gute Chance, einige reife Früchte zu ernten. In unserem Sortiment hat vor allem die Sorte Twotimer diese Fähigkeit.
9. Die Geduld des Gärtners hilft am meisten. Ungeduld tötet mehr Feigen als der Frost. Wie viele Gärtner sind in diesem Frühling verzweifelt und haben ihre vermeintlich toten Feigen viel zu früh ausgerissen und sich so um das unglaubliche Schauspiel ihrer Wiedergeburt gebracht? Es lohnt sich bei Feigen unbedingt, bis Anfang Juli zu warten und auf Lebenszeichen zu warten und zu hoffen. Wie gesagt, in meiner Nachbarschaft gab es nach diesem Winter leider keine Feige, die nicht erfroren war. Aber es gab auch keine einzige Feige, die sich nicht jetzt, Anfang Juni wieder zurückgemeldet hat: “Hier bin ich, glaub nur an mich, ich komme immer wieder, so schnell wirst du mich nicht los!”
herr
Guten Tag
Eine Glasscheibe gilt nicht als Wand.
Freundliche Grüsse
Ihr Lubera-Team