Darf man Birkensaft zapfen oder darf man das nicht - eine Anfrage der NZZ
Wir gestehen. Wir haben im letzten Jahr Birkensaft gezapft, ohne uns allzu viele Gedanken zu machen. Ich habe ein ziemliches Urvertrauen in Bäume... Aber jetzt kommt gerade eine Presseanfrage der NZZ rein, die mich fragt, ob ich denn wisse, dass so ein Eingriff (und der ist ja auf Youtube öffentlich) dem Xylem schaden könnte... JA, da muss ich mir jetzt im Nachhinein doch noch überlegen, was wir da gemacht haben und ob wir das so weiterempfehlen können.
Zunächst aber mal die Anfrage der NZZ, und zwar von Herrn Andreas W. Frey:
Sehr geehrter Herr Kobelt,
wir beschäftigen uns in dieser Woche in der NZZ am Sonntag mit dem Birkensaft. In einem Ihrer Videos habe ich gesehen, wie Sie selbst einmal eine Birke angezapft haben. Hierzu hätte ich eine Frage.
Ist Ihnen bewusst, dass ein solcher Eingriff ins Xylem dem Birkenbaum schaden kann? Baumphysiologen und Forstbotaniker warnen vor solchen Eingriffen, weil dadurch Pilzsporen in den Baum gelangen können. Sie raten von solchen Eingriffen daher ab,
Würde mich freuen, wenn Sie mir antworten.
Danke und viele Grüsse
Andreas Frey
Und hier jetzt meine Antwort:
Sehr geehrter Herr Frey.
Danke für die Anfrage. Also normalerweise tanze ich vor dem Anbohren noch um den Baum, und nach dem Anzapfen entschuldige ich mich bei der Baumseele mit drei Verneigungen...
Im Ernst: Ich habe ein ziemlich technisches Verständnis eines Baums und grossen Respekt vor der menschlichen Baumkultur, die seit Jahrhunderten, wohl eher Jahrtausenden die Säfte der Bäume anzapft, oder nicht ganz selten den Bäumen sogar ihre Früchte klaut. Das kann nicht ganz falsch sein, auch wenn es damals noch keine Baumphysiologen (meinten sie vielleicht Baumpsychologen?) und keine studierten Forstbotaniker gab.
Also, was möchte ich vom Baum?
Ich möchte an seinem Frühlingssaft teilhaben, der im jungen, lebenden Xylem von unten nach oben fliesst und die wasserlöslichen Minerale und in Zucker umgewandelte Stärke zu den Baumorganen trägt... Und davon möchten ich ein Stück abbekommen. Fast so, wie ich die Früchte des Baums pflücke.
Video: Wie man Birkensaft anzapft und Birkensaft erntet
Anbohren = Verletzen?
Na ja, ich habe das fürs Video gemacht... aber der Saft war durchaus sehr erfrischend. Ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl und auch nicht die Einsicht, dass ich den Baum verletze. Der Grund: ER muss mit solchen und ähnlichen Verletzungen auch in der Natur jederzeit rechnen und damit klar kommen. Und wenn es eine perfekte Zeit gibt, damit klarzukommen, ist es das Frühjahr, wo das Wasser fliesst, wo sich die Wunden schnell wieder verstopfen und wo das beginnende aktive Wachstum die Wunde wieder verschliessen kann....Ich achte Bäume und liebe Bäume. Mein ganzes Leben lang produziere ich Bäume, aber ich habe mir ein gesundes menschenzentriertes Naturbild behalten: Ich benutze Bäume auch sehr gerne für mich.
Video: Schadet das Melken des Birkenwassers dem Birkenbaum?
Praktische Tipps fürs Birkensaft zapfen
Die am wenigsten invasive Methode ist sicher das Absägen von Ästen auf Stummel. Dagegen kann wirklich auch der grösste Baumfetischist nichts haben. Und beim Anbohren, so sehr es dem Manne im Mann oder in der Frau Spass macht, sollte man nicht zu tief eindringen, weil der Saft sowieso nur im äusseren frischen Xylem fliesst. Und natürlich sollte man einem Baum nicht dutzende Löcher zumuten, ihn idealerweise nur ein oder zweimal anbohren. Jedenfalls, wenn der Durst nicht allzu gross ist.
Video: Birkensaft zapfen - Tipps und Tricks
Und jetzt die Realität: Wie sehen die letztjährigen Anbohrlöcher aus?
Zunächst die ganz gute Nachricht: Der angesägte Ast hat schon wieder ausgetrieben, noch im letzten Jahr. Er wird so tief am Baum die nächsten Jahre wohl kaum überleben (er kommt dann dem benachbarten Fussballplatz in die Quere, das kann übrigens deutlich tödlicher ausgehen als das Anzapfen...). Das Beispiel zeigt aber, wie stark die regenerativen Kräfte der Birke sind: Der Ast ist nicht etwa ausgetrocknet, sondern hat ausgeschlagen.
Bild: Seitentrieb der letztes Jahr als Zapfhahn diente
Und schauen Sie sich die Löcher neben dem Ast an: Diese sind jedenfalls ohne menschliches Zutun entstanden, entweder aufgrund äusserer Einflüsse von Insekten oder Vögeln, oder aber ganz einfach aufgrund des Baumwachstums. Der Baum weiss also schon irgendwie mit Löchern umzugehen...
Bild: Nicht menschengemachtes Loch am Birkenstamm
Und die gebohrten Löcher vom letzten Jahr? Eines hatten wir mit Wundverschluss verstrichen - und das sieht jetzt schon ziemlich geschlossen aus. Wenn ich allerdings den Wundverschlussbelag wegkratze, zeigt sich der Bereich etwas feucht, so dass die Vermutung naheliegt, dass hier jetzt im Frühling noch etwas Wasser ausfliesst und also der Wundverschlussprozess nicht abgeschlossen ist.
Bild: Zapfstelle vom letzten Jahr
Und dann muss ich zu unserer Schande gestehen, dass wir ein Röhrchen im Loch vergessen hatten! Hier ist auffällig, dass das Loch zwar nicht zuwachsen konnte (wie auch?), aber wohl innen umso besser verschlossen wurde, weil es absolut trocken ist und auch in Inneren keine Feuchtigkeit zeigt. Kein idealer Fall, gebe ich zu, aber der freie Zutritt der Luft hat wohl im Inneren zu einem besseren Verschlussprozess geführt als das Abschliessen mit Paste. Idealer wäre also wohl, das Röhrchen selbstverständlich zu entfernen und gleichzeitig das Loch offen zu lassen...
Video: Birkenwasser probieren: Wie schmeckt der pure Birkensaft?
Und Ahornsirup schmeckt trotzdem